Die Stadtverordnetenversammlung hat am 10. Februar
2011 beschlossen, dass beim Land Hessen die Aufnahme der Stadt
Zwingenberg mit ihrem Ortsteil Rodau in das Dorferneuerungsprogramm
beantragt werden soll.
Ausgangslage
Die Stadt Zwingenberg hat rund 7.000 Einwohner, wovon
etwa 6.000 in der Kernstadt am Fuße des 517 Meter hohen Melibokus und
rund 1.000 im westlich der BAB 5 gelegenen Stadtteil Rodau wohnen. Das
Durchschnittsalter der Bevölkerung lag im Jahr 2007 bei 41,6 Jahren
(Demografiebericht der Hildesheimer Planungsgruppe). Mit einer
Gemarkungsfläche von rund 650 Hektar ist das Unterzentrum Zwingenberg
die flächenmäßig kleinste Stadt im Landkreis Bergstraße, zwischen den
Metropolregionen Rhein-Main im Norden und Rhein-Neckar im Süden gelegen.
Aufgrund der relativ kurzen Entfernungen zum Mittelzentrum Bensheim
(fünf Kilometer) sowie zu den Oberzentren Mannheim / Ludwigshafen (ca.
35 km) sowie Darmstadt (ca. 20 km) und Frankfurt am Main (ca. 50 km)
kommt der Stadt in erster Linie die Funktion eines beliebten
Wohnstandorts zu.
Doch auch eine Reihe kleinerer und mittlerer
Gewerbebetriebe haben ihren Sitz in Zwingenberg. Die Versorgung mit den
Bedarfsgegenständen des täglichen Lebens ist als gesichert anzusehen.
Die soziale Infrastruktur der Stadt ist ausgeprägt:
Zwingenberg verfügt über drei Kindergärten, eine Kinderkrippe, eine
Grundschule mit Betreuungsangebot, ein Jugendzentrum, eine
Stadt-bücherei, mehrere Gemeinschafts-häuser, zwei Sportstätten sowie
ein intensives Vereinsleben mit über 40 registrierten Vereinen.
Die Kernstadt war mit ihrem mittelalterlichen Zentrum
ab dem Jahr 1984 bereits im Dorf- erneuerungsprogramm aufgenommen; der
Ortsteil Rodau ebenfalls ab dem Jahr 1997.
Mit dem Bereich „rund um die historische Markthalle“ ist Zwingenberg zur
Zeit außerdem Teil der interkommunalen Arbeitsgemeinschaft mittlere
Bergstraße im Programm Stadtumbau in Hessen.
Herausforderungen für die Dorfentwicklung
Nach positiven Impulsen der früheren
Dorferneuerungsprozesse stellen sich heute und in Zukunft neue
Herausforderungen für die Entwicklung der Stadt Zwingenberg mit ihrem
Ortsteil Rodau. In Anknüpfung an die zurück liegenden Maßnahmen kann
deren Bewältigung gleichsam als Weiterentwicklung der Dorferneuerung
betrachtet werden.
1. Herausforderungen an den Wohnstandort
- Bauliche Entwicklung: Aufgrund der
Gemarkungsfläche sind die freien Ressourcen an Wohnbauflächen in
Zwingenberg gering. Dem Grundsatz Innen- vor Außenentwicklung kommt
daher besondere Bedeutung zu. Eine Reihe von Leerständen in der
Kernstadt sowie einige zur Umnutzung geeignete Flächen bieten Potential
hierzu. Im alten Ortskern des Stadtteils Rodau zeichnen sich darüber
hinaus aufgrund der demografischen Entwicklung künftig zusätzliche
Leerstände ab, die zu modernen Wohnformen (Stichworte: nachhaltiges
Wohnen / Generationen übergreifendes Wohnen) umgenutzt werden könnten.
- Infrastrukturelle Entwicklung: Ein
schleichender Verlust wichtiger Versorgungsstrukturen (kleine
Einzelhandelsgeschäfte / Dienstleister) ist zu beobachten. Weit
fortgeschritten ist diese Problematik bereits in der Altstadt, die neue
Funktionen erhalten hat (dazu auch nachfolgend unter 2.) Aber auch
entlang der B3, dem modernen Zentrum der Stadt, tun sich zunehmend
Lücken auf. Ursachen und Handlungsfelder sowie Strategien sind zu
beschreiben. Der Stadtteil Rodau ist generell unterversorgt und auf die
Infrastruktur der Kernstadt angewiesen, woraus sich eine wichtige
Verknüpfung ergibt.
- Verkehrsentwicklung: Die
Bundesstraße 3 trennt den westlichen vom östlichen Teil der Kernstadt.
Hier lässt sich die Verbindung verbessern. Zugleich könnte der
verfügbare Raum entlang der B3 intelligenter genutzt und nicht allein
auf die Verkehrsfunktion reduziert wird. Im Jahr 2015 soll die zweite
Stufe des S-Bahn-Ausbaus auf der Main-Neckar-Bahn in Betrieb genommen
werden. Hierfür laufen derzeit die Vorbereitungen. Ungeklärt ist bis
dato die künftige Funktion des historischen Bahnhofsgebäudes, welche im
Rahmen der Dorferneuerung entwickelt werden könnte.
2. Herausforderungen an das soziale Umfeld
- Leitbild für die Altstadt: Die
Altstadt hat ihre Funktion als Ortsmittelpunkt längst verloren und weist
heute ein differenziertes Gepräge auf. So ist sie einerseits Wohnort
für „alte“ und „neue“ Bürgerinnen und Bürger, die die historische
Umgebung schätzen und pflegen. Andererseits ist sie aber auch
identitätsstiftend für die gesamte Stadt und daher nicht mit einem
klassischen Wohngebiet vergleichbar. Zwingenbergs Altstadt ist somit
auch ein öffentlicher Raum. Diese Funktion kommt in der
vergleichsweise hohen Dichte gastronomischer Betriebe, als auch den
unterschiedlichen öffentlichen Veranstaltungen zum Ausdruck, die hier
stattfinden. Ferner in der Attraktivität, die sie auf Touristen
ausstrahlt. Einzelne Ladengeschäfte und Büros sind hier ebenfalls noch
zu finden.
In der jüngeren Vergangenheit ist aus dem
funktionalen Dualismus von Wohnort und Lebensmittelpunkt (öffentlichem
Raum) immer wieder Konfliktpotential entstanden, bei dem deutlich wurde
und wird, dass das Verhältnis dieser beiden Funktionen nie hinreichend
geklärt worden ist. Es kann gesagt werden, dass nach der Verlagerung des
(geschäftlichen) Ortszentrums von der Altstadt an die B3 die
stadtgestalterischen bzw. bauhistorischen Herausforderungen
weitgehend gelöst wurden, jedoch die soziokulturellen Fragestellungen
zum Teil offen geblieben sind. Ein fundamentales gemeinsames
Verständnis dessen, was den Zwingenberger Altstadtkern heute ausmacht
bzw. ausmachen soll, existiert nicht. Deshalb ist es wichtig, das
Bewusstsein für die Vielfältigkeit und Lebendigkeit der Stadt zu
erhalten und weiter zu entwickeln. Im Dialog aller Beteiligten sollte
erstmals ein „Leitbild“ für Zwingenbergs Altstadt entwickelt werden. Das
Dorferneuerungsprogramm könnte die Plattform dafür bilden. Ziele
sollten sein: 1. Die Individualität und das
Alleinstellungsmerkmal der Altstadt zu schützen und zu stärken. Hierzu
zählen auch gestalterische Fragen. Gemeinsam mit den Bewohnern (und
Nutzern) der Altstadt könnte ein Gestaltungskatalog erarbeitet sowie
Anreize zur Aufwertung des Stadtbilds gesetzt werden. 2. Die
Multifunktionalität und damit die nachhaltige Entwicklung der
Innenstadt durch Strategien und Konzepte sicherzustellen und
fortzuschreiben. Eine wichtige Funktion kommt hier sicherlich der
Stadtbücherei zu, die in ihrer Rolle als Frequenzbringer für die
Altstadt gestärkt werden sollte. 3. Kooperatives Handeln der Innenstadtakteure zu ermöglichen und zu unterstützen. Insbesondere
soll eine öffentlich wirksame Kooperation aller relevanten Akteure aus
den Bereichen Anlieger, Gewerbe, Kunst, Kultur und Verwaltung
Projektideen entwickeln und durchführen.
- Bedürfnisse älterer Menschen: Die
Alterung der Gesellschaft wird, trotz relativ günstiger Prognosen für
Südhessen, auch an Zwingenberg nicht spurlos vorbei gehen. Kernstadt und
Ortsteil müssen daher gemeinsam Antworten auf die Fragen geben, die
sich aus der demografischen Entwicklung ergeben:
-
Voraussetzungen schaffen bzw. verbessern, um möglichst lange im gewohnten Umfeld wohnen zu können.
-
Geeignete Wohnformen für hilfsbedürftige ältere Menschen am Ort zu etablieren, ggf. auch durch Umnutzung von Bestandsimmobilien.
-
Akteure im Bereich Seniorenarbeit vernetzen.
-
Angebote und Dienstleistungen für ältere Menschen überprüfen und ggf. verbessern.
- Familienfreundliche Stadt: Die Stadt
Zwingenberg unterstützt Familien bereits heute durch eine Reihe von
freiwilligen sozialen Leistungen und durch verschiedene öffentliche
Einrichtungen. Hohe Priorität kommt dabei der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf durch ein abgestimmtes Betreuungskonzept zu, was vor allem
durch eine Kinderkrippe, drei Kindergärten und eine Schülerbetreuung
gewährleistet wird. Die Akteure im Bereich Kinder- und Jugendhilfe sowie
die Verantwortlichen der städtischen Gremien sind in einer Kommission
vernetzt. Diese gute Ausgangssituation gilt es weiter auszubauen und an
neuere Entwicklungen anzupassen, insbesondere auch hinsichtlich der
Einbeziehung des Ortsteils Rodau in die Infrastruktur der Kernstadt. Zu
einem wirtschaftlich relevanten Standortfaktor könnte die
Familienfreundlichkeit Zwingenbergs zudem durch Kooperationen mit
Unternehmen vor Ort werden. Der Verwaltung liegen insoweit bereits
verschiedene Interessenbekundungen über öffentlich-private
Partnerschaften bei der Kinderbetreuung vor. Besonders für
wissensbasierte Berufe ist die Bindung der Mitarbeiterinnen ans
Unternehmen ein wirtschaftlich bedeutsamer Faktor. Dieser Aspekt wird
gemeinhin bei der kommunalen Kindertagesstättenbedarfsplanung nicht
oder jedenfalls nicht ausreichend berücksichtigt.
- Behinderte Menschen: Mit der
Ansiedlung eines Wohnhauses für Menschen mit Behinderung in der
Bahnhofstraße (Nieder-Ramstädter Diakonie) anstelle einer baufälligen
Gastwirtschaft konnte bereits ein erster Impuls für die Integration
behinderter Menschen ins dörfliche Leben gegeben werden. Die in Bensheim
ansässige Elterninitiative „Sonnenkinder e.V.“ (www.sonnenkinder-bensheim.de)
plant darüber hinaus in Zusammenarbeit mit der Behindertenhilfe
Bergstraße ein innovatives Projekt im Ortsteil Rodau zu realisieren.
Dort soll auf einem Bauernhof ein so genannter Begegnungshof errichtet
werden, wo behinderte Kinder zu therapeutischen Zwecken mit Tieren in
Kontakt kommen und wo auch Begegnungen z.B. mit den Kindern des
örtlichen Kindergartens möglich sein sollen. Ein öffentliches Café
könnte dort ebenfalls eingerichtet werden. Dieses Projekt böte somit
nicht nur die Chance, den Strukturwandel kleiner landwirtschaftlicher
Betriebe, wie dem vorliegenden, sinnvoll zu gestalten, sondern es trüge
zugleich zur Belebung des Ortsteils bei.
3. Herausforderungen die Nutzung denkmalgeschützer Objekte
Besonders die folgenden Einzelobjekte bedürfen einer
Überprüfung hinsichtlich ihrer Funktion und Nutzung. Es handelt sich
jeweils um Objekte, die unter Denkmalschutz stehen, jedoch teilweise –
z.B. durch neue oder geänderte Nutzungskonzepte und deren Umsetzung –
revitalisiert werden müssen:
- Altes Amtsgericht, Obertor (derzeit: Mischnutzung aus Wohnen, öffentlichen Räumen, Kellertheater)
- Altes Rathaus, Marktplatz (derzeit: wechselnde Nutzungen ohne nachhaltiges Konzept)
- Ehemaliges Beamtenhaus, Orbisstraße (derzeit: Wohnen)
- Remise (Farbenhaus) beim Rathaus (derzeit: Lager, keine der prominenten Lage im Stadtpark angemessene Nutzung)
- Stadtpark (derzeit: zu geringe öffentliche Nutzung)
Perspektiven durch die Dorferneuerung
Aufgrund der Dorferneuerung lassen sich für die Stadt
Zwingenberg mit ihrem Ortsteil Rodau besonders in den oben genannten
Handlungsfeldern neue Entwicklungsperspektiven finden. Sie knüpfen an
die bereits erfolgreich durchgeführten Erneuerungsprozesse an und führen
diese fort. Somit besteht die Chance, Dorfentwicklung als einen
nachhaltigen Prozess zu etablieren. Da dies nur gemeinsam mit den
Bürgerinnen und Bürgern erfolgreich sein kann, bietet die
Dorferneuerung zudem die Gelegenheit, die Bürgerbeteiligung zu stärken
und (neue) Netzwerke zu bilden. Dies sowohl durch eine bessere
Verküpfung von Kernstadt und Ortsteil, als auch durch Integration von
Neubürgern.